Wir machen es uns nicht leicht. Die deutsche Energiewirtschaft besteht aus zehntausenden Mitarbeitern, die Tag für Tag Lieferantenwechsel klären, Abrechnungen erstellen, Energiemengen zuordnen, Kunden beraten und daran langsam aber sicher verzweifeln.
Nagut, beim letzten Punkt hab ich vielleicht übertrieben 🙂
Dennoch basieren diese Hintergrundprozesse auf hunderten Seiten Marktregeln, technischen Vorgaben für Nachrichten, Gesetzen und Verordnungen – und das Beste? Diese ändern sich auch noch regelmäßig, teilweise zwei mal im Jahr.
Aber warum ist das nun so komplex?
Auf dem Bild oben sehen wir ein paar Stromerzeugungsanlagen und ein paar verbrauchende Gebäude. Und dazwischen liegen Stromleitungen. Das ist ja eigentlich ein ganz simples Konzept – irgendwo stehen Generatoren und die erzeugen Strom. Der Strom fließt durch Kabel und kommt an meiner Steckdose an. Und schon leuchtet mein Licht. Klingt einfach.
Aber machen wir mal ein Gedankenexperiment: ich gehe auf die Website des tollen, neuen Ökostromversorgers und klicke mir einen Ökostromvertrag mit echtem Ökostrom von Windrädern aus der Nordsee. Nach kurzer Zeit bestätigt mir der Versorger den neuen Vertrag. Ab Morgen kriege ich Ökostrom aus der Nordsee.
Aber Moment, ich wohne in Thüringen (oder wo auch immer). Kommt hier an meiner Steckdose wirklich Ökostrom von der Nordsee an? …naja, nee.
Strom sucht sich immer den Weg des geringsten Widerstands. Wenn bei mir Verbrauch anfällt, kommt der Strom nun wortwörtlich blitzschnell zu mir. Dabei ist es eher unwahrscheinlich, dass der Nordseestrom zufällig bei mir ankam – der ist irgendwo zwischendurch abgebogen.
Vermutlich landet bei meiner Steckdose Strom aus einem nahen Kohlekraftwerk oder von den Windrädern neben meinem Dorf. Mittags fließt bestimmt auch Strom von Nachbars Solaranlage zu mir rüber. Aber warum hab dann denn einen Ökostromtarif?
Ist das in Ordnung?
Ja.
Die deutsche Energiewirtschaft hat nämlich streng genommen nichts mit der Energietechnik zu tun. Wir betrachten gar nicht die wirklichen Stromflüsse (das machen schließlich schon die Kollegen aus der Energietechnik), wir interessieren uns viel mehr für die Zuordnung gemessener Kilowattstunden (kWh).
Und so sieht das aus: wenn wir auf der Website des Ökostromversorgers den tollen, neuen Ökostromvertrag auswählen, geben wir ja auch immer gleich einen Jahresverbrauch an. Wir sagen mal 1.200 kWh.
Diese 1.200 kWh nimmt der Versorger nun als Grundlage für sein Energieportfolio. Entweder hat er eigene Stromerzeugungsanlagen oder kauft die Energiemengen nun an der Börse oder über direkte Abnahmeverträge bei der Erzeugern ein. Für mich sind das in Summe die 1.200 kWh über das kommende Jahr hinweg.
Grob gesagt braucht der Versorger dann ja 100 kWh pro Monat. Und das wären ja wieder gut 3 kWh pro Tag.
In der Realität wird das natürlich etwas genauer prognostiziert, mit den sogenannten Standardlastprofilen (SLP). Über diese reden wir in einem bald folgenden Blogbeitrag.
Was ist nun mit der Erzeugung?
Der Ökostromversorger braucht für mich ja nun etwa 3 kWh pro Tag. Diese kommen entweder noch aus den eigenen Wind- und Solaranlagen oder die kann man sich im Energiehandel einkaufen. Der Einkauf ist dann nichts anderes als: „Hey lieber Kraftwerks-/ Windpark-Betreiber, bitte verkaufe mir am Tag 3 kWh!“.
Der Betreiber freut sich und lässt seine Anlagen die 1.200 kWh übers Jahr hinweg erzeugen. Und einfach gesagt macht mein Versorger nichts anderes, als diese 1.200 kWh zu bezahlen. Und am Ende des Jahres bezahle ich diese 1.200 kWh an meinen Ökostromversorger.
Das hat natürlich nichts mit der Realität an meiner Steckdose zu tun. Prinzipiell kommt da immernoch der Kohlestrom von nebenan raus. Aber ich bezahle Ökostrom und mittelfristig wird sich der zuständige Erzeuger natürlich durchsetzen.
Zu Beginn der 2020er Jahre haben wir erstmals einen Anteil von über 50% Ökostrom im deutschen Stromnetz erreicht. Dieses Konzept hat in den letzten zwei Jahrzehnten also ganz gut funktioniert.
Also wie ist das jetzt?
In der Energiewirtschaft interessieren uns die Kilowattstunden. Die Vesorger prognostizieren die kWh der Verbraucher. Die Kraftwerksbetreiber prognostizieren die kWh ihrer Erzeugungsanlagen.
Die Versorger kaufen die Energiemengen beim Erzeuger oder Zwischenhändler ein. Dafür gibt es ein äußerst komplexes System der Energiemengenbuchhaltung – die sogenannte Bilanzkreisbewirtschaftung (auch dazu bald Blogbeiträge).
Wenn der Kunde nun seine Rechnung bezahlt, bekommt der Versorger das Geld für seinen Ökostromtarif. Der Versorger bezahlt ja wiederum den Kraftwerksbetreiber und die Netzbetreiber. Und ganz am Ende sind alle zufrieden.
Aber damit das alles mit hunderten Marktteilnehmern funktioniert, brauchen wir eben jede Menge klarer Marktregeln. Die Profis denken sofort an GPKE, WiM, MPES und MaBiS, sowie die zahlreichen Formatvorgaben bei EDI@Energy. Ja, auch dazu gibt es bald eine ganze Menge Beiträge.
Und wenn du darauf nicht warten willst, schau einfach mal in unserem Shop vorbei – da gibt es zahlreiche Videokurse und E-Books zu den meisten Themen unserer wunderbaren Branche 🙂