Kommt wirklich Ökostrom aus meiner Steckdose?
Ökostromtarife unterstützen die Betreiber von Erneuerbare Energien Anlagen
Ökostrom wird immer beliebter. Seit Jahren hören wir von steigenden Marktanteilen, größerer Beliebtheit sowie mehr und mehr Angeboten. Schätzungsweise gibt es in Deutschland über 1.200 wählbare Ökostromtarife. Natürlich unterscheiden sich diese im Preis, in den Tarifkonditionen, aber vor allem auch in der Quelle des Ökostroms.
Prinzipiell können Energieversorger beliebigen Strom an der Energiebörse einkaufen und ihn gegen geringe Kosten als Ökostrom labeln. Dieses Vorgehen wird oft als „Greenwashing“ bezeichnet und erfreute sich zumindest im letzten Jahrzehnt einer gewissen Beliebtheit.
Gleichzeitig steigt die Anzahl echter Ökostromversorger, die ihre eigenen Erneuerbare Energien Anlagen betreiben oder ihren Strom unmittelbar von solchen Betreibern einkaufen.
Die Akzeptanz und Beliebtheit von Ökostrom ist natürlich nochmal um so stärker gestiegen, seitdem FridaysForFuture und co. für den Klimaschutz auf die Straße gehen und über die Hintergründe aufklären. So spricht das Umweltbundesamt über einen Marktanteil des Ökostroms bei Haushaltskunden von über 25 Prozent. Eine Statista-Umfrage von 2019 kam immerhin auch schon auf 18% aller Stromkunden mit einem Ökostromtarif. Diese Zahlen dürften sich im vergangenen Jahr noch weiter nach oben bewegt haben.
Nun hören wir eine bestimmte Frage immer wieder: „Kommt denn wirklich Ökostrom aus meiner Steckdose?“. Kann das überhaupt möglich sein? Kann der Strom einer Windkraftanlage in der Nordsee tatsächlich bis zu meiner Steckdose in Mitteldeutschland oder noch weiter im Süden fließen?
Theoretisch ja.
Strom fließt dort hin, wo der elektrische Widerstand in den Leitungen am geringsten ist. Einfach gesagt fließt der Strom dorthin, wo im Moment der größte Bedarf herrscht. Die Kabel könnten ihn also vom Windrad aus nur wenige Kilometer weiter zu einem Industrieunternehmen mit hohem Verbrauch führen. Oder er nimmt den Weg über die „Stromautobahn“ quer durch Deutschland und kommt zufällig tatsächlich bis zu meiner Steckdose.
Praktisch betrachtet kommt der Strom einer ganz bestimmten Anlage also nur im Zufall physisch bei mir an. Das ist aber auch gar nicht schlimm:
Bei einem Ökostromtarif geht es um die Bezahlung des erzeugten Ökostroms.
Über meinen Tarif werden die Betreiber von Solaranlagen, Windrädern, Biogasanlagen, Wasserkraftanlagen, usw. direkt bezahlt. Das funktioniert schlussendlich über die sogenannte Energiebilanzierung. Das ist zwar ein Thema für ausführliche Schulungen, aber wir starten mal in die Grundlagen.
Energie wird bilanziert.
Wir haben oben schon beschrieben, dass der physische Stromfluss von Energieversorgern nicht beeinflusst werden kann. Daher betrachten wir in der Energiewirtschaft weniger den physisch fließenden Strom. Wir schauen viel stärker auf die einzelne Kilowattstunde und wem diese zugeordnet werden kann. Jede erzeugte Kilowattstunde muss von Kraftwerksbetreibern geplant, gemeldet und verkauft werden. Jede verbrauchte Kilowattstunde muss von Energieversorgern geplant, gemeldet und eingekauft werden. Den Überblick darüber haben die Stromnetzbetreiber und können bei einem Ungleichgewicht nochmal nachjustieren.
Diese Meldungen der geplanten und tatsächlichen Energiemengen sind die Grundlage der Energiebilanzierung. Schlussendlich handelt es sich dabei um eine Art Buchhaltung von Kilowattstunden. Dafür wird der sogenannte Bilanzkreis verwendet: ein virtuelles Konto für Energiemengen, auf welchem erzeugte und verbrauchte Energiemengen gegenübergestellt werden.
Ein Ökostromversorger hat also die geplanten Verbrauchsmengen seiner Kunden im Bilanzkreis und gleicht diese Mengen durch den Betrieb von Erneuerbaren Anlagen oder den Einkauf von Ökostrom aus.
Wenn der Versorger nur Kilowattstunden aus Ökostromanlagen in seinen Bilanzkreis bucht, beliefert er seine Kunden auch nur mit Ökostrom. Die Buchhaltung der Energiemengen beweist, ob und dass es sich um einen echten Ökostromversorger handelt.
Würde ein Energieversorger neben Ökostrom auch die Energiemengen aus einem Kohlekraftwerk in seinen Bilanzkreis einkaufen, dann handelt es sich eben nicht um einen Ökostromversorger. Mithilfe der Energiebilanzierung behalten wir in der Energiewirtschaft nicht nur den Überblick über Angebot und Nachfrage, sondern auch über die Energiemengen aus verschiedenen Quellen.
Wenn wir in der Energiebranche von Ökostrom sprechen, liefern wir also nicht garantiert den erneuerbar erzeugten Strom bis an die Steckdose. Viel mehr bezahlen wir die Betreiber von Windrädern und Solaranlagen über die korrekte Zuordnung der Energiemengen in der Bilanzierung.
Jetzt könnte der Verbraucher enttäuscht sein: ich lade meinen Laptop gar nicht wirklich mit Ökostrom? Statistisch betrachtet doch, zumindest zur Hälfte. Im Jahr 2020 machen die Erneuerbaren Energien bereits über die Hälfte der gesamten Stromerzeugung in Deutschland aus. Aus diesem Strommix beziehen wir alle unseren Strom. Und je mehr Ökostromverträge es gibt, desto mehr Erneuerbare Anlagen wird es geben. Und desto höher wird der Gesamtanteil des Ökostroms im deutschen Leitungsnetz.
Und je mehr dezentrale Windräder und Solaranlagen in meiner Nachbarschaft stehen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass tatsächlich deren Ökostrom auch physisch an meiner Steckdose ankommt.
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